Während ich meine Sunday Screenshots tippe, meine Gedanken permanent abschweifen, weil ich so viel in diesen Beitrag packe möchte, dann aber merke, dass eine klare Struktur auch hier durchaus Sinn macht, habe ich ganz kurz Sehnsucht. Sehnsucht. Nach Konstanz. Nach einem Haus und einem Garten und so Dingen, die man mit Mitte 30 haben sollte. Aber wer sagt das eigentlich, das man das mit Mitte 30 haben muss?
Und während ich das schreibe, weiß ich auch, dass es totaler Unsinn ist. Denn, hätte ich mehr Konstanz – im Job, in meiner Wohnsituation (wenn es Meisterschaften im Umziehen gäbe, ich hätte sie gewonnen), in meinem Liebesleben (Scherz, das ist die einzige wirklich Konstanz, die ich seit Jahren habe), wäre ich jetzt nicht da, wo ich bin. Glücklich mit all dem, was ich habe. Ich bin überzeugt davon, dass alle Veränderungen, die ich in den vergangenen sieben Jahren hatte, mich zu der Frau gemacht haben, die ich heute bin. Zweifel gab es viele und Menschen, die mich gehindert haben, zu der zu werden, die ich seinen will, den Weg zu gehen, den ich gehen will, gab es noch mehr. Viel mehr als die, die mich unterstützt haben, die mich aufgefangen haben, die mit mir gekämpft haben.
Aber das ist eine andere Geschichte.
Im April bin ich auf einer Pressereise gewesen. Mit einem Schiff über die Havel. Und ich bin nicht nur unglaublich dankbar dafür, dass ich in den vergangenen Monaten so viel reisen konnte, ich bin umso dankbarer dafür, was für wunderbaren Menschen ich begegnet bin. Und deshalb muss ich von Stéphanie erzählen. Sie ist mir gleich aufgefallen, als ich aufs Schiff gekommen bin, sie arbeitet da an der Rezeption und ist sowas wie der Engel an Bord. Weil sie für jeden ein offenes Ohr hat. An einem Tag hatten wir die Möglichkeit, uns lange zu unterhalten, am Ende lagen wir uns beide in den Armen. Weinend. Weil sie was in mir verändert hat. Sie sagt, ich hätte was in ihr verändert. Sie jedenfalls hat meine Art zu denken ein Stück weiter verändert, meinen Blick auf die Welt nochmal korrigiert. Sie hat mich weitergebracht. Das war einer der besten Tage.
Der Reihe nach. Stéphanie ist 29. Sie kommt aus einem kleinen Ort im Elsass. Ihr Deutsch ist holprig, aber so, dass wir uns in einem Misch aus Deutsch und Englisch unterhalten konnten. Sie hat in Schweden studiert. Sprachen. An einem Nachmittag – wir waren in Potsdam unterwegs, der Tag war vollgestopft mit Historischem zur Potsdamer Konferenz, sie war als Begleitung dabei, sind wir ins Gespräch gekommen. Ich erzählte ihr, dass ich gerade nicht so glücklich bin mit meiner Gesamtsituation, Job, die Stadt, in der ich lebe. Dass mir die Menschen fehlen, die mir wichtig sind. Wir haben uns Eis gekauft, vor dem Schloss Cecilienhof auf eine Bank gesetzt. Sie fragte, wie lange ich den Job schon mache. Ich sagte, dass ich seit vier Jahren etwa bei der Zeitung bin. Da sagte sie: „Das ist zu lang. Du musst da schnell weg“. Ich erwiderte verwundert, dass das doch total kurz sei. Fünf Jahre, das ist schon wichtig, sagen Lebenslaufoptimierer. Da fragte sie, wer das sagt. Da sagte ich. „Na so heißt es doch.“
Sie erzählte, dass sie einige Zeit in Neuseeland gelebt hat. Und dass sie dort gefragt worden ist, wie lange sie schon ihren Job machen würde. Und dann haben ihr die Menschen dort gesagt, dass das sei zu lang. Sie könne sich ja nicht weiter entwickeln, wenn sie immer dasselbe macht. „Sie haben gesagt, dass immer dasselbe machen, Stillstand bedeute, dass man sich niemals weiterentwickeln könne, man auf der Stelle trete.“
Das hat mich berührt. Und sehr nachdenklich gemacht. Und weitergebracht. Und viele Fragen verursacht:
Sind es unsere gesellschaftlichen Normen und Vorstellungen über „das richtige Leben“, die uns darin hindern, uns weiter zu entwickeln? Kann man sich tatsächlich nur wirklich entwickeln, wenn man sich davon befreit?
Das Beispiel hat Stéphanie mit einer Anekdote zu einer Tomatensalatzubereitung abgerundet. Ja, es klingt verrückt. Aber es war so. Sie sagte: „In dem Ort im Elsass, wo ich ich aufgewachsen bin, wird der Tomatensalat immer nach einer bestimmten Art gemacht. Niemand macht ihn anders. Und ich habe das so übernommen.“ Und es ist klar für alle: So und nur genauso macht man einen Tomatensalat.“ In Neuseeland habe sie dann zum ersten Mal einen Tomatensalat mit völlig anderen Gewürzen und einer anderen Zubereitung gegessen. Und den macht sie jetzt immer, weil sie ihn lieber so mag.
Weil ein Tomatensalat eben so und auch ganz anders zubereitet werden kann.
Das bringt mich zu der eigentlichen Sache, die mir diese Woche auf der Seele liegt.
Wenn man Menschen, mit denen man mit Mitte 20 feiern war, zehn Jahre später wieder trifft, zufällig, ungeplant, auf einer dieser Partys, auf denen die Musik läuft, auf die man mit Mitte 20 so stand (bei mir so Indie und Alternativekram, da konnte man sich abgrenzen und so studentisch sein), dann kann das auf zwei Arten ausgehen.
- Die eine Art ist die, die man sich wünscht, um nach einer durchgefeierten Partynacht nach Hause zu fahren und zu sagen: „Das war ein wunderbarer Abend, ich habe schöne Erinnerungen an früher und es ist gut, dass es jetzt so ist wie es ist. Weil: Man findet die Personen immer noch genauso spannend und interessant wie mit Mitte 20. Man denkt vielleicht sogar: Cool, ich hatte damals schon einen ausgezeichneten Männer-/Frauengeschmack. 🙂 Man findet die Personen deshalb mega gut, weil sie sich weiterentwickelt haben. Weil sie smart sind und an sich gearbeitet haben. Weil sie eloquent sind und was zu erzählen haben. Weil man ihnen ein spannendes und interessantes Leben ansieht, eben weil sie sich weiterentwickelt und verändert haben. Weil ihr Blick auf die Welt offen, neugierig und vorurteilsfrei ist. Weil sie den Tomatensalat jetzt eben auch mal anders zubereiten als vor zehn Jahren. Und, das schließt sich daran an: weil sie nicht (mehr) so anstrengend kategorisch sind, wie mit Mitte 20, als der eigene (Musik-)Geschmack der Nabel der Welt war. Und Mainstream der Ausdruck höchster Verachtung. Weil die Party an diesem Abend eine unter vielen anderen neuen Partys ist.
- Die zweite Art ist die, wie es in meinem Fall ausgegangen ist: Man findet diese Personen erschreckend langweilig. Und ich habe mich gefragt: „Liegt es an mir? An der Art, wie ich lebe und auf das Leben schaue? Ist es Arroganz?“ Ich fand die Personen langweilig – und das aus einem ganz einfachen Grund: Sie sind noch genauso wie sie mit Mitte 20 waren. Sie haben sich offensichtlich nicht weiter entwickelt. Sie sind stehen geblieben. Sie finden einfach die Musik gut, die da an diesem Abend lief (Indierock und Alternative), und die wir schon vor zehn Jahren gehört haben, sie gehen in dieselben Kneipen wie schon immer und arbeiten seit Jahren in demselben Unternehmen. Und wie sie auf die Welt schauen, ist der Blick, den wir vor zehn Jahren als idealen Blick auf die Welt in Studentenküchen entwickelt haben. Vielleicht haben sie mittlerweile Kinder und auch ein Haus. Und sie haben sich diesen Abend freigeschaufelt, um auf diese eine Party zu gehen, die sie daran erinnern lässt, wie cool doch alles ist.
Für mich war da gar nichts cool. Und ich wollte auch nicht zu den „Sternen“ tanzen.
Während alle einfach nur älter geworden sind auf dieser Party, die gleichen Klamotten tragen wie vor zehn Jahren (Karohemden, Trainingsjacken) und zu Tocotronic so abgehen, als wäre die Zeit stehen geblieben, setze ich mich abseits. Zünde eine Zigarette an, der Rauch vermischt sich mit der Nebelmaschine.
Bin ich auch einfach nur älter geworden? Wie ist es, wenn man sich mit mir unterhält nach zehn Jahren? Was habe ich zu erzählen?
Und ich weiß, dass der andere Weg vermutlich einfacher ist als den Weg, den ich gewählt habe. Mit Sicherheit gemütlicher. Mit dem gesellschaftlichen Duktus zu gehen, ist Mainstream.
Vielleicht ist es eine Vorverurteilung. Nein, das ist es nicht.
Man hat es sich ebne so eingerichtet. In seinen Gedanken. In seinem Blick auf die Welt.
Ich ziehe an der Zigarette und fühle mich an diesem Abend auf dieser Party gar nicht älter geworden. Nur erwachsener.
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